"Oi-Warning" - Schocker für Spießer
von Nancy Nüchtern
"Oi!Warning" kommt zu einem Zeitpunkt auf den Markt, da alle Gazetten voll sind mit dem Thema Rechtsradikalismus. Und Rechtsradikalismus heißt: Männer mit kahlgeschorenen Schädeln überfallen Synagogen, Asyl-Heime und bringen Menschen um – während der Rest der Gesellschaft damit nichts zu tun hat, sondern sich härtere Gesetze wünscht und eine flinkere Polizei. Für diesen Kontext können die Filmemacher nichts. Dennoch trifft ihr Film auf einen hype: Alle Welt redet über (rechte) Skinheads und hier steht deren Kampfschrei schon im Titel. Da geht man doch mal hin, das will man jetzt auch mal genauer sehen. - Vergessen Sie es, davon handelt der Film wirklich nicht.

oimuellSeine Geschichte geht ungefähr so: Ein schwäbischer Mittelstandsjunge (Mutter verwitwet, Haus mit Garten) haut ab, nachdem er von der Schule geflogen ist. Nimmt seinen Motorroller, Mamas Scheckkarte und will nach Norden, wo er einen coolen Typen kennt, der auch mal abgehauen ist. Pünktlich in der Stadt, wo dieser Typ wohnt, ist das Benzin alle und er muss schieben. Am Bahnhof labert ihn ein Spießer voll, der später zusammengeschlagen wird. Und der coolste der Schläger ist zufällig der coole Kumpel.

Der Kumpel ist jetzt Skinhead, wohnt mit seiner Freundin und unser Teenager kann da erstmal bleiben. Der Große nimmt den Kleinen mit auf Skin-Konzerte. Da saufen alle Männer viel, rüpeln rum und haben Spaß. Die Mädels stehen am Rand, wippen mit den Köpfen und fühlen sich wahrscheinlich auch wohl. Aber bei den Männern in der Mitte ist mehr los.

Dann lässt der Kleine sich die Haare abrasieren.

Weil sein Geld alle ist, muss er wieder zur Schule (Mama schickt sonst nix). Der Lehrer ist scheißautoritär, aber dafür hat der frischgebackene Skin jetzt eine Freundin. Am Baggersee bringt er aus Versehen fast einen Punkie um. Später lernt er dessen Kumpel kennen (auch Punk) und noch später hat er mit dem zweiten Punk Sex. - Was der große Skin sieht und weshalb er eifersüchtig wird. Aber das kann er als Mann nicht so zugeben.

kleiner Skin mit FreundinDer große Skin hatte ein Sprengstofflager in einer verlassenen Fabrik.Seine Freundin jagt es in die Luft, damit er aufhört mit dem Skin-Teil, weil sie inzwischen zwei Babies haben (Zwillinge wie die Filmemacher, aberMädchen). Obwohl der große Skin spitzkriegt, dass sie die alte Fabrik gesprengt hat, macht er folgendes (und jetzt kommt das große Finale): Er versucht den kleinen Skin zu zwingen, den Liebhaber als angeblichen Attentäter zu töten und macht das selbst, als der zurückscheut. Woraufhin er vom Kleinen einen Ziegelstein ins Gesicht bekommt und auch tot ist. Ergreifendes Schlussbild: ein Skin mit totem Punk im Schoß, im Hintergrund brennt die Hütte des Punks. Auf einmal ist es Nacht, weil ein Feuer doch im Dunkeln dramatischer aussieht. (Vielleicht brennt die Hütte auch fünf Stunden und die Feuerwehr hat gerade frei.)

Nun, das ist ein bisschen schlicht. Aber immerhin: der Film hat wirklich gute Bilder. Stellen Sie sich eine verlassene Ruhrpott-Werkhalle vor, die sich in einer meterlangen Wasserlache auf der Straße spiegelt. Ganze Leinwand und in Schwarz-Weiß fotografiert. Dann kommt von rechts ein Moped und fährt in mittlerem Tempo durch dieses Spiegelbild. Was wollen Sie sagen, das ist einfach schön. Und es gibt mehr davon.

Aber sonst? "Glaubwürdig und souverän" werden das "Skinhead-Milieu"und seine "archaischen Rituale" im Film "kritisiert" steht in der Presse (lesen Sie selbst...) - Was heißt hier "kritisiert"? Wir verstehen nichts, aber gut, dass mal jemand was dazu gesagt hat? Unter anderem wird eine Wunschvorstellung inszeniert, die im "Skinhead-Milieu" mehr oder weniger verbreitet ist: In dem Film spielt keine einzige Figur mit, die nicht ohne jeden Zweifel als ethnisch-deutsch durchgeht. In einer so perfekt entmischten Gesellschaft gibt es natürlich keinen Rassismus mehr. Kein dummer Spruch, nichts. Die Skins hier sind unpolitisch. - Natürlich sind im sogenannten wirklichen Leben nicht alle Skinheads Rassisten. Aber wie kann man einen Film über Skins machen, ohne überhaupt zu erwähnen, dass es sowas wie Rassismus gibt?

wird zum tragischen Opfer: sympathischer PunkIn"Oi!Warning" gibt es keine gesellschaftlichen Verhältnisse, sondern nur einen Gegensatz: wir gegen die. 'Wir' - die Rebellen, Unangepassten, Skins. 'Die' - die Spießer, die Schlipsträger.

Drei Frauen-Figuren kommen vor - eine vollvertrottelte Mutter und die beiden Freundinnen der Skins. Nun macht die eine der Frauen, die Freundin des großen Skin, sogar eine Entwicklung durch: Zu Anfang ist sie nur der Spiegel, in dem der Mann seine eigene Kraft und Herrlichkeit bewundert. Später sprengt sie seine Skin-Kiste weg. Ursache dieser Veränderung aber ist, dass sie zur Mutter wurde und einen treusorgenden Vater ihrer Kinder will. Im Grunde genommen verspießert sie einfach.

Kitsch statt Kritik - und ein Klischee nach dem anderen: Die rauen Jungs bei den Skins strotzen nur so vor begehrenswerter Männlichkeit (die man aber nicht kriegen kann). Punks dagegen sind schmutzig, sinnlich und versaut (Sex zwischen Männern - kein Problem). Deutsche sind Deutsche und Frauen sind Mütter (und von daher sowieso spießig). Und dem einen Spießer hat es eigentlich ganz gut getan, dass er vermöbelt wurde: hat doch im Krankenhaus seine zukünftige Gattin getroffen. - Ohne oder gar gegen solche Gewissheiten könnte es ein guter Film sein. Aber nicht eine einzige davon wird demontiert oder auch nur als Klischee sichtbar gemacht. Damit aber muss der ganze Film ein peinlicher Kitsch werden.

Wenn man will, kann man sagen: die beiden Skins seien "mit sich ringende Figuren", die tragisch an ihrer "furchtbaren Männlichkeit" scheitern. Muss man aber nicht. Denn dieses sogenannte Scheitern geschieht wirklich erst in der letzten Szene. Da aber sieht es so aus: Nummer eins - Ziegelstein gegen die Backe und Gehirn fließt aus der Nase. Nummer zwei - Dasitzen wie eine Muttergottes mit totem Liebhaber-Jesus im Schoß. Wer bitte soll diese Bilder vom Scheitern ernstnehmen? Sind aber ernst gemeint, dummerweise.

Schockierend ist die gezeigte Brutalität höchstens für Leute, welche die Arbeit von Neonazis noch nie so richtig bemerkt haben. (Es gibt ja nun viele Neonazis, die zumindest eine Art von Skins sind.) Aber natürlich kann man zu dem Film goße Gedanken denken und ihn prima analysieren. Das geht mit Mickey Mouse auch. Und die Filmemacher würden vielleicht sogar sagen, man soll ihn erleben und nicht drüber nachdenken. Vielleicht kann man auch große Gefühle fühlen, z.B. wenn man unglücklich in einen Skin verliebt war oder ist. Bei unglücklicher Liebe hören übrigens manche Leute gern Schlagermusik.

oimuellSind Sie ein Skin und haben sich in dem Film "wiedergefunden"? Dumeinegüte! Wollen Sie im Ernst, dass Leute aus dem Kino kommen und denken: "Achje, die haben ja auch ihre Probleme..."? Oder sind Sie kein Skin und fanden, das sei ein "interessanter Einblick" in die Skinhead-Kultur? Dann sind Sie angeschmiert: glauben Sie wirklich, die haun sich am Schluss immer gegenseitig Steine in die Fresse? - Nimmt man diesen Film als Dokument, als authentische Innenansicht einer Szene, einer Jugendkultur, dann ist er einfach nur scheißpädagogisch - eben wegen seines pathetischen Endes. Wie immer bei Kitsch hilft ein bisschen Lachen gegen die Peinlichkeit. Aber das haben die Filmemacher eben nicht gewollt.

Gehen Sie ruhig und schaun Sie sich "Oi!Warning" an. Warum soll nicht ein unabhängiger Film von zwei netten Jungs auch mal etwas Geld einspielen. So richtig gut wird der Abend vermutlich nicht werden. Aber vielleicht fällt Ihnen ja ein, dass Sie nach dem Zeitungslesen immer mal über die Ursachen von Rechtsradikalismus oder über Männlichkeit und Gewalt diskutieren wollten. Dazu brauchen Sie den Film eigentlich nicht. Aber jetzt, wo Sie doch schon mit Freundinnen und Freunden im Kino waren... Vielleicht fällt Ihnen ja mehr ein als den Filmemachern.