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Skin*Lust:
die Versprechen eines Bildes
von Nancy, zuerst erschienen in Tuntentinte Nr.18 "Politik und Sinnlichkeit" (Juli 2000)

Seltsam. Wer sich Fotos ansieht von jungen Männern, die vor hundert Jahren aufgenommen wurde, blickt zum Beispiel in verträumte große Augen, sieht halblange Haare, manchmal eher schmale Schultern. Meist haben diese Männer einen sensiblen Zug um den Mund und wirken nicht besonders praktisch veranlagt. Was daran liegen kann, dass es vor allem Künstler-Porträts sind, die man noch hin und wieder sieht. Über junge Genies zur vorletzten Jahrhundertwende denkt man ja doch ab und zu nach.


Aus den Zwanzigerjahren kennt man den jugendlichen Proletarier, so was mit offenem, ehrlichen Gesicht, glatter Haut, gern in Badehose oder bei Ringkampf-Spielen im Wald. Folgen die Dreißiger mit der mystischen Riefenstahl-Schönheit und die Fünfziger mit Elvis-Tolle. Nett sind auch die langhaarigen Wirrköpfe aus den Siebzigerjahren, die Körper mal ganz dünn, mal mit ein bisschen Muskeln: sehr verbreitet waren volle Lippen ("Blasemund"...) Spätestens in den Achtzigern ging der Trend dann zur Zeichnung, Tom of Finland Superstar: Schnauzbart, Brustmuskeln in Fußballgröße, Schwänze wie Unterarme. Aber lassen wir das.

Heutzutage haben die meisten meiner Bekannten nur Stoppeln auf dem Kopf und bemühen sich, möglichst nicht klug auszusehen. Sprechen wir nicht nur von meinen Bekannten, es gibt noch viel mehr Leute, die so rumlaufen. Sie tragen nicht einfach andere Frisur und Kleidung als die Männern auf den Fotos, sie drücken etwas ganz anderes aus. Was genau diesen Unterschied ausmacht, ist schwer zu beschreiben - aber momentan scheint es zum Beispiel für den Erfolg am schwulen Fleischmarkt besser zu sein, wenn man sich nicht um die Angst kümmert, die der eigene Anblick bestimmten Menschen auf der Straße einflößt. Und von Nahem sieht es so aus, als ob ein rücksichtsloses Grinsen, in die Mundwinkel gehängt, auch eher ein Attraktivitäts-Pluspunkt ist.

- Das wäre der Anfang für eine Klage, in der falschen Zeit zu leben, als die Männer hässlich geworden waren. Oder böse, oder beides. Ist es aber nicht, sondern wir blättern im Katalog der schwulen Begehrensbilder. (Was unter anderem heißt, es geht hier ausschließlich um Bilder von Männern.)

Jedes Bild hat seinen Kontext. Im Rückblick ist das zunächst die Zeit. (Wer hätte in den Siebzigern gedachte: "Das ist ein Siebzigerjahrebild." Niemand.) Dann gehören dazu die abgebildete Szene, der Hintergrund, Kleidung, Gesichtsausdruck - kurz, das Bild erzählt eine Geschichte. Die Geschichte funktioniert mit dem, was zu sehen ist, aber sie ist nicht das, was zu sehen ist. Sie wird ausgedacht. Und so funktionieren nicht nur Fotos, sondern auch Bilder von Menschen auf der Straße. Wenn diese Menschen Unbekannte sind, zeigen sie eine bestimmte Geschichte, die wir uns ausdenken.

Am Skin, einer Ikone der Gegenwart, bleibt der Blick hängen
(im Hinterkopf meldet sich die Frage, wer das Bild anschaut).

    Es gibt zwei Karrieren des 'Skinheads'. (Hier ist nicht die Rede von der Skinhead-Bewegung, sondern von Bildern, obwohl beides natürlich mit einander zu tun hat.) Die ersten Bilder von Skins stammen aus Großbritannien und zu sehen sind unterprivilegierte Männer - Proletarier, Arbeitslose, allesamt Weiße - die gelegentlich bei Fußballspielen eine Portion Wut über ihre Scheißsituation rauslassen und sonst ganz fröhlich viel zusammen trinken. Sie haben keine Haare, sind bekleidet mit typischen grünglänzenden Reißverschlussjacken ohne Kragen, die niemand außer ihnen tragen würde, dazu Jeans, Hosenträger, sowie Stiefel mit Schnüren. Und sie wirken ohne jeden Zweifel in der Masse sehr maskulin. (Einzelne können auch mal zart gucken, aber nur mit dem Kontrast zur sonst sehr harten Männlichkeit.) - Ein paar Stationen übersprungen und gelandet heutzutage, hierzulande: Diese Männer tragen immer noch Jeans, Hosenträger, Stiefel; bei den Jacken sind ein paar Farben dazu gekommen (ein sehr dunkles Rot, Schwarz sowie ein paar Grau- und Grüntöne). Ab und zu finden sich ein schmaler Schlips und Fahnen im Hintergrund (das sind die bösen), und Abzeichen an den Ärmeln (da gibt es solche und solche). In manchen Gegenden sind die Mehrzahl von ihnen Rassisten, aber lassen wir das erstmal aus dem Spiel, noch geht es um Bilder.

Die zweite Karriere des Bildes 'Skinhead' spielt im Kontext der sogenannten schwulen Sinnlichkeit. Sie hat mit der ersten zu tun, aber funktioniert völlig anders, weil die Bilder eine andere Geschichte erzählen. Diese Geschichte hat damit zu tun, wer die Bilder sieht. Jeder Mensch sieht ein Bild anders, doch lassen sich gewisse Muster finden, sie hängen ab von den Erfahrungen, die Menschen bestimmter sozialer Gruppen teilen, und davon, wie das Bild in dieser sozialen Gruppe aufgebaut worden ist, welche Entwicklung es hinter sich hat. Im Kontext schwuler Sinnlichkeit ist nun das Bild 'Skin' vor allem eins: absolut geil. Ja, das Bild gibt sogar ein so umfassendes Versprechen völliger, totaler Lust, dass es lohnt zu fragen, wie diese Wirkung beim Betrachter entsteht. (Möglicher Einwand: "Ich finde Skins überhaupt nicht aufregend." Dazu später.)


Wie funktioniert das Versprechen absoluter Lust? Nun, erstens kommt es in Einem mit dem Versprechen wirklicher, echter Männlichkeit - und ohne Zweifel sind Skins männlich, müssen macho sein, daher der beliebte brutale Zug um den Mund. Ihre Kleidung betont die Muskeln und in allen Körperbewegungen wird eine Art Stapfen hingelegt. (Bei manchen war vermutlich hartes Training nötig, um das so hinzukriegen. Aber der Aufwand muss sein, wenn nämlich die Bewegungen misslingen, ist das Urteil sofort klar: "Schwulette, als Skin verkleidet...") Zweitens gehört zum Skin, dass er sich nur auf sich selbst und auf Seinesgleichen bezieht. (Nochmals zur Erinnerung: hier ist die Rede von Bildern, nicht von konkreten Personen.) In die erotische Skin-Bilder-Welt passen nur Skins - und genau das wissen alle, die das Bildnis 'Skinhead' mehr oder weniger sehnsüchtig ansehen. Der Betrachter kann sich selbst aus dieser Bilder-Welt ausgeschlossen fühlen oder er fühlt sich zugehörig (oder abgestuft irgendwas dazwischen), je nachdem zeigt ihm das Bild Verachtung oder nicht. Und noch ein drittes Moment ist am Skin-Bild, wie es aus schwulen Augen aussieht, von Bedeutung: das etwas Stumpfe, Ungeistige. Witziger Weise heißt sowas in Kontaktanzeigen "dummgeile Fresse", und dieser Titel bringt es auf den Punkt. Übrigens sagt eine solche Bezeichnung absolut nichts aus über den sogenannten I.Q. (der, aus anderen Gründen, sowieso Quatsch ist) oder die Schulbildung oder das Wissen derjenigen, die sich damit bezeichnen. Um so interessanter ist aber die Frage, wie "dumm" und "geil" hier zusammen hängen bzw. warum sie sich in dem Wort so prima ergänzen? Es ist die alte Trennung von Gefühl und Geist, von Körper und Verstand, die sich hier wiederholt. Sie wiederholt sich, indem beide Seiten in einen Gegensatz zu einander gestellt werden und nur die eine von beiden (eben der dumpfe, "tierische", Körper) sich auf Kosten der anderen (des Verstandes) durchsetzt. Der Körper besiegt den Geist, sperrt ihn weg, und kann sich dann voll und ganz der Lust hingeben.

Diese drei Momente machen das Bild des Skins zu einem Bild archaischer Männlichkeit (der Mann als Jäger), rücksichtslos, kraftvoll, nicht angefressen vom Zweifel - das wilde Tier in deinem Bett, das dich besiegt, dich unterwirft und dir den Verstand raubt. Genau das wird es tun: es wird dich in Geist und Gefühl zerreißen, den Verstand wird es dir rauben, auf dass nur noch der Körper übrig bleibe und sich in purer Lust winde. - Da passt das Bild zu etwas ganz Neuem, zur Lust, die eine Maschine ist und anspringt, indem der Geist ausgeschaltet wird. Hatten vergangene Jahrhunderte und andere Kulturen ihre 'Liebeskünste', waren also Talent und Können nötig, dann gibt es hier und jetzt ein 'Zurück zur Brunst'. Mitten in einer (westlichen) Welt, die voll steht mit Computern und sonstiger Technik, nistet sich die Lust ein in die pure Natur. Das Skinhead-Bild verkörpert diese Veränderung nur, und zwar im Bild des Mannes, der sich holt, was er braucht. Und wer vorhin eingewendet hatte, er finde Skins nicht aufregend, bekommt jetzt gesagt: entweder hast du ein anderes Bild gefunden, mit dem du Geist und Körper auseinander reißen kannst, oder deine Lust ist nicht so organisiert wie hier beschrieben wird. (Damit kannst du dich jetzt toll fühlen oder nicht, ganz wie du willst.)

Der rohe, ungeschlachte Mann ist eine politisch einigermaßen interessante Figur - weil nämlich die Trennung von Körper und Geist ihn aus jeder politischen Kritik zieht. "Aber das ist doch geil" - wer könnte dagegen was sagen, zumal unter Schwulen? Wer sich der Lust hingibt, kann nicht mehr denken können, das ist ja wohl klar. Es ist zumindest dann klar, wenn die Lust um so intensiver wird, je weniger der Geist ihr in die Quere kommt. Nun, wer diese Trennung nachvollzieht, kann allerdings in einen bemerkenswerten Zwiespalt kommen: In seinem politischen Bewusstsein (Geist) könnte der Gedanke aufkommen, dass Leute wegrennen, wenn sie ihn sehen, weil sie mit Seinesgleichen schlechte Erfahrungen gemacht haben, oder lieber nicht erst machen wollen. Der Wunsch nach endgeilem Sex könnte dennoch nötig machen, weiter genau so durch die Welt zu stapfen. Aber lassen wir den Herren ihren Konflikt, sie werden schon eine Weise finden, sich damit nicht weiter zu beschäftigen. Es geht um den Blick des Beobachters, unabhängig von dessen Selbstbild. Denn das Dilemma hat nicht nur wer von sich selbst das Bild 'Skin' aufbaut, sondern vor allem, wer es herbeisehnt.

Hier wird es politisch erst richtig spannend. So wie bisher argumentiert wurde, verspricht das Skinhead-Bild das totale Körper-Erlebnis Lust, bei dem der Geist nicht stören wird (was die Trennung von beiden und die Abschaltung des Geistes voraussetzt - das würde der Skin dann netter Weise übernehmen). Politische Einwände gegen konkrete Verkörperungen dieses Bildes, gegen wirkliche Personen, wären nun etwa von der Art "das ist ein Rechter". Sie setzen vor der gewünschten Trennung an - noch ist der Geist beteiligt, der später weg soll, damit es richtig gut wird. Das macht die Sache z.B. für Türsteher in Läden wie dem SNAX ein wenig schwierig. Funktional für den Laden ist vor allem das Kriterium: gibt er ein überzeugendes Lust-Versprechen? (Je stärker und dumpfer er aussieht, desto eher ist die Antwort: "ja".) Wäre schön, wenn das ausreichte - um so unbeschwerter könnte man sich hinterher fallen lassen. Es reicht aber nicht, denn zum Einen kann man mit oder ohne einen Aufnäher rumlaufen und die Schnürsenkel können auch aus Fetischgründen weiß sein. Zum Anderen kann ein Türsteher nicht gut Leute wegschicken, die das Funktionieren seines Ladens als Konsumenten mitsichern, und vor allem als Verkörperung des Lust-Versprechens: dumpf aussehen kriegen ja auch Rechte vielleicht gut hin... Die Tür solcher Clubs (wenn sie kommerziell funktionieren) ist also nicht einfach manchmal und leider ein bisschen undicht - sie muss im Gegenteil höchst durchlässig sein. (Einzige Ausnahme: die Typen kommen nicht zum Sex, sondern wollen Schwule klatschen. Dann ist es besser, sie draußen zu halten. Das weiß ein Türsteher natürlich.)

Im Gedrängel selbst geht dann sowieso kein genaues Hinschauen mehr. Die Reflexion ist ja mühsam abgeschaltet worden und ein Rauswurf würde die Stimmung des Abends verderben.

Stunden später geht das Licht wieder an, meistens erst zu Hause so richtig.

Was dann einsetzt ist ein in gewisser Weise nachträgliches Denken: der Geist, der unbedingt ausgeschaltet werden musste, damit die totale Lust gelang, wird wieder belebt. Er räumt die Trümmer der Ekstase weg und baut das Erlebnis ein in die Geschichte, die der Mensch sich und anderen über sich selbst erzählt. Ist der andere Mann wirklich ein richtiger Rechter und jetzt als solcher erkennbar, dann setzt vermutlich Erschrecken ein und er muss schleunigst gehen (wenn er nicht sowieso schon weg ist). Und dann macht man sich erstmal einen Kaffee und denkt über die Abgründe des Lebens nach. War ja doch ziemlich geil, irgendwie. Irgendwie aber auch Mist, dass es ausgerechnet...

Nun überlassen wir diesen Herrn seiner Katerstimmung und seinen trüben Gedanken, um noch einige Fragen aufzuwerfen, die für eine politische Diskussion über das erotische Bild Skinhead wichtig sind. Es scheint, als ob jegliche Kritik an der geschilderten Art, die Lust hereinbrechen zu lassen (eine Lust, die nicht mehr erlaubt, nach rechten und nicht-rechten Skins zu unterscheidenden), immer von einem moralischen Standpunkt aus argumentiert. Sie dringt auf Mäßigung, weil sie die politische Urteilskraft erhalten will, und will also offen oder heimlich das Verhalten regulieren (gönnt den Leuten nicht, sich selbst zu vergessen). Muss das aber so sein? Es gab und gibt andere Wege, eine "Selbstvergessenheit" hinzukriegen. Klappen- und Dampfraum-Sex wurde z.B. in den Siebzigerjahren oft als anarchische und subversive Lustexplosion verstanden, als ein Gewimmel von Körpern, das nicht einmal genau in Bilder zu ordnen ist - ein Weg, dem Zwang zur ständigen Selbst-Kontrolle auszuweichen. Ich will hier nicht die eine Form gegen die andere abwägen. Mir geht es nur darum zu zeigen, dass Kritik am Lust-Versprechen des Skinhead-Bildes auch ohne Rückgriff auf "Sitte und Anstand" möglich ist (die frühe Schwulenbewegung ist ein Beispiel dafür). Ganz allgemein gefragt: Wie lässt sich der Skin kritisieren, ohne dass der Moral-Vorwurf leichtfertig abgetan wird und ohne dass mit ihm jede Diskussion abgeblockt wird?

Und, diese Kritik ist nötig. Personen, die sich selbst als Skins inszenieren, sind oft genug rechte Gewalttäter - dagegen kann man natürlich sagen "ich nicht". Doch im Bild 'Skinhead' kommt immer auch eine Form aggressiver Männlichkeit daher. Sie sieht so aus, als ob sie direkt aus der Natur stammt und sich nur von kulturellen Zwängen befreit hat (was Quatsch ist). Zusätzlich schottet sich das Skin-Bild mit dem Moral-Vorwurf ab und hat scheinbar den besseren Sex auf seiner Seite. Es ist deshalb unmöglich zu sagen, dass man von dieser Männlichkeit genervt ist - wer sowas äußert ist automatisch überreflektiert, moralisch und langweilig im Bett. Man kann natürlich grinsen und sich prima amüsieren, ohne dass die Skin-Fans was merken. Das heißt aber doch, eine Menge unschöner Dinge hinzunehmen. Wie also kommen wir zu einer Diskussion, die Männlichkeit (wieder und auf neue Weise) begreift als Organisation von Herrschaft, als eine Waffe im Kampf um gesellschaftliche Vorteile und als eine soziale Position, die ihren Inhabern auf Kosten von anderen Zugang zu Ressourcen sichert (Geld, Einfluss, Aufmerksamkeit, emotionale Dienstleistungen)?

Drittens schließlich geht es um das Körper-Geist-Problem. Die Trennung ist der westlich geprägten Zivilisation tief eingeschrieben. Es wird aber auch eine Menge Leute geben, die sich selbst, ihr Wollen und Tun, nicht so erleben. Das kann eine Täuschung sein, muss aber nicht. Wäre es nicht nötig, auch über diesen Aspekt der Selbstbilder zu diskutieren? Vor allem über die damit jeweils verbundenen Normierungen: über die traditionelle Selbstbeherrschung, die ein Weg zum Erfolg sein soll; über das Harmonie-Ideal, das angeblich ein schöne(re)s Leben sichert; und darüber, ob man das eine so einfach aufgeben und das andere so einfach annehmen kann und sollte? (Nur einer von vielen Aspekten dieser Diskussion: die Selbstdisziplinierung ist das Erfolgsmodell im historischen Kapitalismus, die neue Emotionalität dagegen passt sehr gut zu vielen Anforderungen des aktuellen...)

- Mit diesem Text sollten nicht Leute vollgemopst werden, die auf eine bestimmte Weise rumlaufen oder die andere begehren, die so rumlaufen. Das Bild 'Skinhead' hat auch im Kontext der sogenannten schwulen Sinnlichkeit einen politischen Gehalt, der hinter dem "Ist?doch?geil" verschwindet. Diesen Gehalt für Diskussionen und Veränderungen ans Licht zu holen, darum ging es mir.

ein Gegenstandpunkt wurde in der gleichen Ausgabe abgedruckt: Oi Nancy!