Medien, alte wie neue, dienen nur dazu, Informationen, seien es Fußballspiele, politische Nachrichten, Symphoniekonzerte, Warenhauskataloge oder elektronische Spiele, als Waren auf den Markt zu bringen. Nein, vor allem die "neuen" Medien sind nicht zuletzt Produktionsmittel. Es sind unter anderem auch elektronisch gestützten Beziehungen von Unternehmen, Arbeitnehmern und Konsumenten untereinander. Die Dynamik der Medienentwicklung ist zwar gewaltig, es fragt sich aber, ob sie Vorzeichen für einen Qualitätssprung hin zu völlig neuen Verhältnissen ist.

 

 

Wie wird nun aber die Entwicklung der "neuen" Medien die Arbeit der Menschen beeinflussen und verändern? Es ist keine Frage, dass in vielen Bereichen Heimarbeitsplätze zunehmen werden. Schon jetzt besteht die Tendenz, festangestellte, teure, rentenberechtigte Mitarbeiter durch freie Mitarbeiter, free lances, zu ersetzen, die keine Anwesenheitspflicht, aber auch kein Anrecht auf einen Arbeitsplatz im Betrieb haben. Formal sind sie 'freiunternehmerisch' tätig, in Wirklichkeit rechtlose Heimarbeiter. Diese Tendenz wird mit der Möglichkeit, einen Computerarbeitsplatz außerhalb des Betriebs über neue Technik an das Unternehmen anzubinden, stark zunehmen.

Die Firma spart dabei: Sozialleistungen, Büromieten, Heizung und Strom. Auch der Arbeitnehmer spart: die Fahrt zur und von der Arbeitsstelle, steckt morgens nicht im Stau. Er vermeidet Fahrten in überfüllten, öffentlichen Verkehrsmitteln, Wartezeiten, sein Bio-Rhythmus widersprechen nicht die Vorgaben des Zeitmanagements usw. Verbunden ist das für gewöhnlich mit Bezahlung nach Stücklohn und strengen Qualitätskontrollen (wie immer bei Heimarbeit, weil die direkte Kontrolle fehlt). Lohndruck und die Verschlechterung der sozialen Absicherung sind oft die Folge.

Ich denke, dass sich aber noch gravierender die soziale Isolierung auswirken wird. Auch in den alten Medien Funk und Fernsehen verändert sich das Verhältnis freie zu festangestellte Mitarbeiter zuungunsten der festangestellten. Auch diese Unternehmen arbeiten heftig daran, ihre Sozialkosten zu senken. Viele freie Mitarbeiter klagen über Vereinsamung, schließen sich in Bürogemeinschaften zusammen, was Zusatzkosten mit sich bringt, und bekunden, dass sie sich lieber einer (in einem aufgeklärten Unternehmen ja sowieso nicht despotischen) Bürodisziplin unterwerfen würden, als an einem Arbeitsplatz direkt neben ihrem Bett zu sitzen.

Es ist selbstverständlich, dass gewerkschaftliche Diskussionen und Aktionen in einem Umfeld, in dem vor allem freie Mitarbeiter arbeiten, schwierig zu organisieren sind. Im Übrigen ist es schon deshalb für eine Gewerkschaft, eine Betriebsgruppe oder einen Personalrat (sofern es in einem solchen Unternehmen überhaupt einen gibt) lebensnotwenig, mit allen zur Verfügung stehenden "neuen" Medien zu arbeiten, um den Kontakt mit dem vernetzten Heimarbeiter herzustellen.

Auch das Leben, die sogenannte Freizeit, wird zunehmend durch die "neuen" Medien beeinflusst. In einigen Jahren wird in fast jedem Haushalt in Nordamerika und in West- und Mitteleuropa mindestens ein Computer mit Internet-Anschluss stehen, wahrscheinlich werden viele Haushalte auch über ein mobiles Notebock und über mehrere mobile Kommunikationsgeräte verfügen, mit denen sie sich von überall ins Netz einschalten können. Diese Entwicklung wird unsere Art und Weise, Geschäfte abzuwickeln, uns zu informieren und zu amüsieren, und nicht zuletzt die private Kommunikation tiefgreifend und nachhaltig beeinflussen.

"Die Gesellschaft wird sich radikal von einer Nah- in eine Ferngesellschaft verwandeln. Die Kommunikation der Nahgesellschaft von Angesicht zu Angesicht war durch die Reichweite unserer Sinne beschränkt, die Telemedien erweitern unseren lokalen Horizont. (...) 'Kennen und lieben lernen' sind Kriterien der Nahkommunikation - eine schöne Illusion. Wir werden andere Beziehungen miteinander haben, weil jeder an jedem Ort zu jeder Zeit verfügbar ist. Die meisten lieben sich auch heute, ohne sich zu kennen. Wir müssen nur lernen, das schön zu finden."

Weibel weiter, entwickelte sich die private Kommunikation in die gleiche Richtung wie die Arbeitsbedingungen der Netzheimarbeiter: Die Menschen müssten nur noch mittels Technik mit einander in Kontakt treten, wie beim Telefonieren. Telekommunikation kommt der Bequemlichkeit des Menschen entgegen. Die Herstellung "direkter Nahkontakte" erfordert unendlich mehr Anstrengung als die Kommunikation über Telephon und Bildschirm. Dagegen zu halten wären aber folgendes statistische Zahlen: In Deutschland hat sich der Zahl der Kinobesuche von 117 Millionen im Jahr 1996 auf rund 150 Millionen im Jahr 2000 erhöht. Da vor allem junge Leute ins Kino gehen, bedeutet das, dass gerade die Gruppe, die auch hauptsächlich die "neuen" Medien nutzt, zum Boom der alten Medien beiträgt , selbst Theater und sogar die Oper werden zunehmend von jungen Leuten besucht. In diese Kulturmedien gehen die meisten jungen Leute zu zweit oder in der Gruppe, auf jeden Fall ist es nur schwerlich möglich, dies unter Vermeidung eines "Nahkontakts" und auf "symbolischer Ebene" zu tun.

"alte" und "neue" Medien

von Ralf Kröner

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* "Wie verändert die globale Kommunikation die Gesellschaft?", Interview mit Peter Weibel, Vorstand des Karlsruher Zentrums für Kunst und Medientechnologie in "Der Spiegel", 27/2000, S. 136 u. 138)

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