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Mein Mythos Che

Imprecisas intimidades de un desconocido.
oder: Ungenaue Intimitäten eines Unbekannten


Ich habe mir die Sätze genau notiert:"Bien, cariño. !Como tu quieras! !Haz lo que creas que tengas que hacer! Pero ten mucho cuidado porque estas por delante de tu epoca. Ve a las montañas y crea tu Homocampo. He tenido que luchar durante mucho tiempo contra tí y no me queda otro remedio que luchar por la revolución aqui. Todo se arreglára. !Que te vaya bien! !Hasta la victoria siempre!"

Historisches Foto Fidel hat das gesagt. Fidel Castro.Venceremos compañeros, Geduld, ich werde es Euch gleich übersetzen. Es steht auf der Rückseite dieser Fotografie, dem einzigen Beweis, der mir geblieben ist. Wenn die Revolution noch eine Chance haben soll, muß sie wahrhaftig (verdadero) sein. La revolución es radical, und ich gebe zu, im Innersten meines Herzens bin ich noch immer Revolutionär. Jetzt bin ich zwar alt, nur drei Jahre jünger als Alejo. Mit ihm aber teile ich den Optimismus. Und um in dieser Welt revolutionär sein zu können, braucht es eine gehörige Portion Optimismus, das könnt Ihr mir glauben: Se que aún me queda una oportunidad. Se que no es tarde para recapacitar. Se que nuestro amor es verdadero y con los años que me quedan por vivir demostraré cuanto te quiero. So redet Gloria und so rede also auch ich.

Es war nach Fidels Rückkehr aus Mexiko, als sich diese Szene zutrug, von der ich Euch hier berichten muß und deren einziger Beweis diese Aufnahme ist. Im Jahr 1956 glaube ich. Ich hatte ihn und Ernesto kennengelernt, kurz nachdem sie von Bord der Granma stiegen, um die cubanische Revolution einzuleiten. Ein Bild für die Götter, wenn auch ein anderes. Auf diesem hier bin ich übrigens auch nicht abgelichtet, was mit ein Grund ist, warum ich jetzt schreibe. Immerhin ist meine Tasche zu sehen, wegen der ich immer verlacht wurde. Mein Freund Mánuel hatte sie mir aus Zuckerrohr geflochten. Ich glaube, mit ihm war ich die längste Zeit zusammen. Aber auch das ist eine andere Geschichte. Wie gesagt, die Sätze, die ich hinten auf dem Foto notiert habe, stammen von Fidel. Eigentlich gehören sie zu einem kurzen Gespräch, aber Fidel hatte schon damals die Angewohnheit, sehr viel zu reden. Und weil das, was er sagte, immer so treffend war, mußte man dem kaum etwas hinzufügen, geschweige denn widersprechen. Nur dieses "todo se arreglára" war eine Lüge. Ich glaube, das wußte Alejo auch. So nannten wir Fidel übrigens damals. Es war eine Kurzform seines zweiten Vornamens Alejandro. Er mochte das nicht, aber wir fanden, daß das viel besser zu ihm passte als Fidel. Er war sicher ein treuer Mensch, seinen Freunden, vor allem aber sich selbst und seinen Ideen gegenüber. Aber er war immer so merkwürdig distanziert. Und im Spanischen klingt Alejo wie alejarse, was soviel heißt wie "sich distanzieren". Ich bin mir nicht mehr ganz sicher, warum ich seine Worte überhaupt notierte. Ich weiß nur, als mir das Foto wenige Monate, nachdem es gemacht worden war, in die Hände fiel, dachte ich, ohne diese Sätze ist das Bild falsch. Sie gehören dazu. Sonst ist das Bild nicht zu verstehen. Y creo que, ich glaube, es war das letzte Mal, daß wir zu dritt zusammen waren. Von da an mußte ich in der Sierra Maestra meine eigenen Wege gehen. Es war für mich unerträglich geworden.

Postkarte

Die Situation, von der ich berichten muss, war dramatisch. Alejo war sehr, sehr angespannt, das kann man auf dem Foto noch gut sehen. Er hatte uns überrascht. Ernesto und mich. In unserem schönsten Moment. Wir dachten, er sei schon unterwegs. Sicheres Zeichen dafür war das Handtuch, das er immer nach dem Duschen frühmorgens am Kopfende seines Bettes aufhängte. Wie konnten wir also ahnen, daß er noch da war! Daß er sich diesmal noch schick machte für irgendein wichtiges Treffen. Daß er deshalb noch einmal zurückkehrte, um sein Jacket zu holen. Als er reinkam, sprang Ernesto sofort auf und versuchte sich noch anzuziehen. Er konnte gerade noch schnell seine Hose zuknöpfen, und ich glaube, diese kleine Geste des Schams hat Alejo etwas versöhnlich gestimmt. Nichts ließ er sich anmerken, aber in den Worten, die er mehr zu sich selbst als an uns richtete, lag seine ganze Enttäuschung. Ich glaube, nicht darüber, daß wir uns geliebt hatten, sondern daß er, Fidel Alejandro, seinen Freund Ernesto an mich verloren hatte. Unser wochenlanges Eroberungsspiel hatte jetzt plötzlich einen Verlierer. Und Alejo konnte nicht verlieren. Er ist eine Kämpfernatur in jeder Beziehung. Ohne mich oder Ernesto eines Blickes zu würdigen sprach er zu ihm: "Gut, mein Liebling. Tue, was du tun musst. Aber sei dabei sehr vorsichtig. Du bist Deiner Zeit weit voraus. Geh in die Berge und gründe da dein homocampo ( "homocampo" ist nicht eindeutig übersetzbar: Homoland? Heimat, d.i. homeland? Anmerkung). Ich habe lange genug mit dir gestritten, jetzt bleibt mir nichts anderes mehr übrig als hier für die Revolution zu kämpfen. Alles wird sich regeln. Paß auf dich auf. Lebe wohl bis zum Sieg!"

Rückseite des historischen Fotos

Keine Worte an mich, keine Geste eines gekränkten Nebenbuhlers. Stattdessen väterliche Töne an Ernesto. Und der Habitus eines Commandante en Jefe, der er schon damals war. Vor dieser Distanz, dieser Beherrschtheit hatten wir alle Respekt. Alejo konnte jede Situation auf ein höheres Ziel hin rationaliseren. Dafür bewunderten wir ihn, aber dafür fürchteten wir ihn auch. Wir glaubten dem, was er sagte, weil es rational immer stimmte, aber wir mißtrauten seinen Gefühlen. Wie Ernesto ihn ansieht! Sein Blick erinnert mich an meine eigene Angst und Verwirrung. Wie konnte jemand so sachlich reagieren? Für einen Moment zweifelte ich damals noch, aber heute bin ich mir ganz sicher, daß sich Alejo damit verraten hatte. Er war auf Ernesto ebenso scharf wie ich. Er liebte ihn über alles, ich meine auch zärtlich. "Todo se arreglára". Immer wieder habe ich über diesen Satz nachgedacht. Er stimmte nicht. Er klang so überlegen. Er hatte denselben profetischen Ton, wie damals 1953, als er in seiner berühmten Verteidigungsrede vor dem Gericht in Santiago sprach: "Die Geschichte wird mich freisprechen". Wenn ich mir dieses Fotos heute allerdings ansehe, weiß ich, warum ich schon damals stutzte. Dieses "alles wird sich regeln" klang ungleich fatalistischer. Es drückte eine Gleichgültigkeit aus, die überhaupt nicht zu Alejo passte. Ich bin mir heute ganz sicher, daß er damals seine Liebe zu Ernesto nicht zugeben wollte.

Alejo besann sich sofort auf seine Aufgaben und verließ den Raum, ohne eine Antwort abzuwarten. Er mußte an uns vorbei und warf noch einen verächtlichen Blick auf meine Zuckerrohrtasche. Ich meine, noch ein "afeminado" gehört zu haben, was glaube ich "weibisch" bedeutet. In der folgenden Nacht kam er nicht ins Lager. Ernesto machte sich große Vorwürfe und hat mich aufgrund dieses Vorfalls verlassen. Na ja, ehrlich gesagt waren wir ja nie richtig zusammen gewesen. Aber es hätte was draus werden können. Ich meine nicht aus uns, sondern aus der Revolution. Wenn ich mir so unsere drei Betten betrachte. Alejo ganz links, in der Mitte Ernesto, daneben ich. Das hätte eine echte Revolution geben können. Na ja vielleicht auch nicht. Jedenfalls war das der Moment, in dem sich alles entschied, meine ich. Wir drei waren uns damals so nahe gewesen wie nie zuvor und niemals mehr danach. Warum nur mußte Alejo noch einmal zurückkommen? Unsere Dreiecksbeziehung hätte sich behutsam weiter entwickeln können. Ich hätte mich vielleicht zurückhalten sollen; ich meine gegenüber Ernesto. Aber ich wollte es auch wissen. Auf jeden Fall war mir Alejo nicht egal, im Gegenteil.

Jetzt war alles gelaufen. Vor allem weil auch immer wieder diese Barbaren aus dem Norden kamen, mit denen Alejo heute noch genug zu tun hat. Er mußte ständig nach hinten schlagen und konnte deshalb nie wirklich mehr nach vorn schauen. Daß diese senores imperialistas eine verlogene Moral besitzen, die noch prüder als der Papst unter seiner Bettdecke ist, brauche ich nicht zu sagen.

Was ich aber kaum zu äußern wage. Ich glaube, wir sind auch am Tod von Ernesto schuld. Viele Jahre später, als alles schon so normal wurde und Ernesto sogar schon Industrieminister und Bankdirektor geworden war, hat er wieder diese Sehnsucht bekommen und Cuba verlassen. Er wollte in die Berge gehen, um homocampo zu suchen. In Cuba war der Zug ja diesbezüglich längst abgefahren. Aber ausgerechnet in Bolivien! Ernesto war schon verrückt. Genauso wie ich. Ich ging nach Europa. Von uns dreien war Alejo sicher am klarsten im Kopf, das muß man schon sagen.

Fidel Alejandro Castro Ruz Später, als Alejo dann in der Regierung saß und alle ihn Fidel nannten, hat er die Konterrevolutionäre sogar als "homosexuales" bezeichnet. Spätestens da wußte ich, daß er einen wichtigen Teil von sich aufgegeben hatte und daß diese Revolution gescheitert war. Von da an habe ich ihn nur noch im Fernsehen gesehen. Er wirkt traurig und müde. Ich glaube, hinter seinem Vollbart, den er sich von da an stehen ließ, verbirgt sich das ganze unbewältigte Trauma. Es macht ihn um Jahre älter und so unattraktiv wie einen orthodoxen Mönch. Es führte auch dazu, daß er 1965 diese militärischen Arbeitslager gründete, in die er jeden steckte, der irgendwie anders war. Señora Covarrubia weiß davon mehr zu berichten.

Ernesto (Che) Guevara Ein Jahr zuvor hatte Ernesto ihn endgültig verlassen, und zwei Jahre später war er tot. Ich habe ihn übrigens noch gesucht, was aber in den dichten Urwäldern Boliviens aussichtslos war. Damals dachte ich nur: Ernesto könnte Recht haben, mit seinem homocampo. Vielleicht existiert es hier ja längst. Als ich von seinem Tod erfuhr, wußte ich allerdings, daß auch das ein Irrtum war. Ich habe es nicht mehr ausgehalten und bin nach Europa gegangen. Hier habe ich Deutsch gelernt und zuerst gedacht, wenn es die beiden nicht geschafft haben, vielleicht schaff ich es ja. Das habe ich dann aber schnell sein gelassen, wegen all der Missverständnisse, die das Leben hier mit sich bringt. Die Deutschen sind noch komplizierter. Ihr homocampo jedenfalls hat mit Revolution überhaupt nichts zu tun.

Fotorückseite Ich habe meinen Optimismus nicht verloren. Ich weiß, daß ich mich in Alejo nicht getäuscht habe und daß was hätte draus werden können. Fidel ist heute ein unglücklicher und einsamer Mann. Vor noch nicht allzulanger Zeit hat ihn sogar sein deutscher Dolmetscher verlassen, Rene Limonte Castellon. Anders als früher strahlt Alejo heute aber Wärme aus. Na ja, er ist alt geworden. Und unnahbar geblieben. Ich würde ihn gern einmal besuchen und mit ihm darüber sprechen, aber ich weiß, daß das völlig unmöglich ist.

Als ich aber vor ein paar Wochen eine Postkarte aus meiner Heimat bekam, da dachte ich, diese Karte erinnert dich doch an was. Ich habe meine Tagebücher durchwühlt und tatsächlich das gleiche Foto mit den Sätzen auf der Rückseite gefunden. Da wurde mir nachträglich noch klar, daß Alejo wohl auch wegen seines Fotografen so beherrscht geblieben war, den ich damals nicht bemerkt hatte. Er mußte hinter mir gestanden haben. Ausgerechnet in dieser Situation ein Foto zu machen! Alejo hatte oft seinen Fotografen bei sich. Sicher gibt es noch mehr solcher zweideutiger Schnappschüsse. Aber daß er es zuläßt, eine so intime Aufnahme heute auf Postkarten durch die Welt schicken zu lassen. Ich gebe zu, das ärgert mich. Vor allem deshalb, weil ich nicht mit drauf bin. Nur diese blöde Tasche, wegen der sie mich alle schon damals ausgelacht haben. Ich habe den dringenden Verdacht, Alejo wollte mir mit dieser Veröffentlichung noch eins reinwürgen. Na ja, vielleicht will er damit ja auch was gut machen. In letzter Zeit sind ja eher moderate Töne von ihm über seine einst so gehaßten homosexuales zu vernehmen. Oder er meint, der einzige Überlebende dieses Fotos zu sein. Doch da hat er sich getäuscht. Im Gegenteil, ich beginne jetzt auch wieder mehr cubanisch zu sprechen.

Ich weiß, daß mir noch eine Möglichkeit bleibt. Ich weiß, daß es noch nicht zu spät ist darüber nachzudenken. Ich weiß, daß unsere Liebe wahr ist und daß mit den Jahren, die mir noch bleiben, ich beweisen kann, daß ich dich liebe.

!Hasta la victoria siempre!